Vor circa zwei Jahren hatte ich so etwas wie eine Erleuchtung, keine wirklich spirituell religiöse, sondern eher eine musikalische, audiophile, eine meine Art Musik zu erleben, betreffende. Ein guter Freund schrieb zu der Empfehlung einer CD folgenden beiläufigen, mich aber erleuchtenden Satz:
Das Album [Jan Garbarek, I took up the Runes ] sollte komplett, in Ruhe und entspannter Umgebung und ebensolcher Gemütsfassung angehört werden …
Dabei war es gar nicht so sehr der Künstler oder die Musik, die mich erleuchteten, sondern die Tatsache, dass mir dabei bewusst wurde, dass es vermutlich Jahrzehnte her war, dass ich einmal ein Album komplett, geschweige denn in entspannter Umgebung gehört hatte, von der Gemütsfassung rede ich erst gar nicht. Ich höre viel Musik, beim Dauerlauf, bei der Arbeit, in der Bahn, eigentlich überall, aber eben nie entspannt, nie ganz auf die Musik konzentriert, sondern immer nebenbei.
Die nächste Gelegenheit, die sich mir bot, nutzte ich, pflanzte mich zwischen die Boxen der Wohnzimmeranlage, auf der sonst nur „Pumuckl“ und „Willi will’s wissen“ läuft und lauschte konzentriert. Naja, was soll ich sagen? Mein Sechsjähriger empfand als einziger die Qualität der Anlage als ausreichend.
Der meditativ, konzentrierte Musikgenuss nachdem ich dürstete, verlangte nach mehr, nach High-Fidelity.
Manchmal ist es so, dass es nicht ganz einfach ist ich zu sein, denn ich habe in so vielen Dingen leider eine ganz eigene Art diese zu sehen. Ich wollte keinesfalls irgendwelchen elektronischen Kram aus Fernost. Für meinen Audio-Genuss sollten keine Heerscharen von ausgebeuteten Asiaten sechzehn Stunden Schichten schieben. Mir schwebte ausserdem etwas Archaisches vor. Röhren mussten es sein, die mein Ohr umschmeicheln. Ich wollte alte russische Militär-Röhren und ein Gerät mit lediglich zwei Knöpfen: Ein/aus und laut/leise, sonst nichts.
Ein weiterer HiFi Spinner äh audiophiler Freund empfahl mir die Verstärker vom Godfather of hessische Röhrenverstärker Thomas Reussenzehn. Reussenzehn lötet die Röhren von Hand, Draht für Draht, in die Gehäuse. Keine Platinen, nur hessische Handwerkskunst und die hat natürlich ihren Preis. Monate später gelang es mir endlich Endstufe und Preamp gebraucht zu erstehen. Dann noch ein paar schwedische Lautsprecher-Ungetüme aus nachwachsenden nordischen Pressspanwäldern und mein Audiogenuss war perfekt.
Endlich hörte ich wieder Musik – rein und konzentriert. Ein Bisserl hat das mein Leben verändert, glauben Sie mir, oder probieren Sie es einmal selbst aus. Ob Sie nun Jazz, Country, Rock, Klassik oder sonst etwas hören. Ein Album ganz und ungestört zu hören, die Tracks in der Reihenfolge, die der Künstler sich überlegt hatte, macht einen Unterschied.
Sprach ich eben von einem perfekten, reinen Klang? Nein, nicht ganz, perfekt bis auf den feinen Brummton, den die 80er Jahre Handwerkskunst der Frankfurter Röhrenmanufaktur beständig aussandte, aber das sollte doch durch den Hersteller zu beheben sein.
Herr Reussenzehn ist ein Mann deutlicher Worte, am Telefon stellte er erstmal klar, dass ich etwas von ihm und nicht etwa er von mir wollte. Versendet wird schon mal gar nicht, er schaue sich den Verstärker mal an, wenn ich ihn persönlich vorbeibringe. Meinen Einwand, der sich im Grunde auf die Kilometerzahl zwischen München und Frankfurt stützte, entkräftete er mit der lakonischen Aussage, er hätte schon Kunden mit deutlich weiterer Anreise gehabt. Und Bargeld soll ich mitbringen, er nimmt keine Karten, Ende der Durchsage.
Mein Freund Michael – der auch die Empfehlung ausgesprochen hatte – erklärte sich spontan bereit zu einer gemeinsamen HiFi-Exkursion, ein Termin wurde vereinbart und schon bald ging es gen Frankfurt am Main, mit zwei alten Röhren-Amps auf den Rücksitzen.
Der grosse Meister erwies uns die Ehre und empfing uns gnädig in seiner Werkstatt. Voller Ehrfurcht betraten wir die Bastelstube in dem wunderschönen alten Frankfurter Fachwerkhaus. Zunächst liessen wir uns wegen unsachgemässer Behandlung abwatschen und danach erklären, dass die Dinger ja uralt seien. Der knurrige Ingenieur mit grauen Stoppelhaaren und schwarzem Band-T-Shirt erinnerte mich stark an Harry Haller, den Steppenwolf. Als er meinen Verstärker mit einem Schraubenzieher aufgeschraubt hatte und in sein Inneres geblickt hatte, wurde seine Stimme auf einmal ganz sanft. Ob er an die endlosen Lötstunden in seiner Jugend dachte?
„Das war ja einer meiner Ersten“, meinte er leise.
Dann zeigte er mit seinen grossen Pranken stolz auf das unordentliche Kabelgewirr. „Alles von Hand verlötet, Draht für Draht direkt verbunden und jede Lötstelle fest wie am ersten Tag.“ Er fuhrwerkte in dem Gehäuse herum, Stolz schwang mit in seiner Stimme. Wir schwiegen still wie zwei Schulbuben und nickten andächtig und irgendwann war das Eis dann gebrochen. Geduldig erklärte er uns den Grund für das Brummen: Die Umstellung im Jahre 1991 von 220 auf 240 Volt machte einen Umbau der Sockel nötig. Er versprach das gleich in Angriff zu nehmen, wir könnten ja inzwischen ins Wirtshaus gehen.
Ein Tafelspitz mit grüner Soße und ein paar Biere später, standen wir wieder in der Werkstatt des Röhrenpapstes. Er hatte in den letzten Stunden alle Sockel getauscht, alle Verbindungen nachgelötet – obwohl das eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre – und die Kabel gleich mit getauscht, ausserdem seien die Röhren alle fällig gewesen, da hätte er mir auch gleich neue rein gesteckt. Ich wurde bei der Aufzählung so grün wie die hessische Soße, was außer dem Gehäuse und den Schaltern war denn nun geblieben?
„Bargeld haben Sie, gell?“
Ich nickte stumm. Ich bekam einen nun fast neuen Verstärker, einen Pappkarton mit den alten Drähten, Sockeln und Röhren, als „Andenken“ und eine Rechnung, die ich mit zitternden Händen sofort bar beglich … ich atmete hörbar auf, ich hatte genug Geld dabei und dieser Preis war mehr als fair. Dann wurden wir vom Meister noch in den Showroom geführt und wir durften die wunderschönen Stücke sehen, hören und sogar anfassen, wir fachsimpelten noch lange und ausgiebig und machten uns dann wieder auf den Heimweg.
Es war ein toller Ausflug. Freundlicher Kundenservice und weltweiter Versand, werden definitiv überbewertet, manchmal braucht es auch etwas (liebevolle) Strenge. Es wird nicht unser letzter Besuch in der Röhrenmanufaktur gewesen sein, darüber waren wir uns einig, denn ein Phono-Verstärker und auch ein Kopfhörerverstärker hatten es mir angetan.
Lieber Leser, versuchen Sie einen Termin mit Herrn Reussenzehn zu bekommen und machen Sie sich auf den Weg, sei er noch so weit, und vergessen Sie die ganzen schleimigen, aalglatten, HiFi-Fatzgen-Verkäufer mit ihren schicken Hörräumen, erleben Sie deutsche Handwerkskunst, den speziellen hessischen Charme und einen HiFi-Klang, für den Sie sonst mindestens das Doppelte zahlen müssten …
2 Antworten
Mein lieber Herr Broy, werter Freund,
wenn auch wahrlich alles wahr ist, was Du niedergeschrieben hast, so mag ich mich dennoch nicht eines Kommentares enthalten. Habe ich letztlich alle Stadien der HiFi-Mania durchlaufen, die in den mittleren 1970er Jahren einsetzte, als die beige-braunen Tonsärge von Nordmende, Telefunken, Graetz und Schaub Lorenz, die in den Nachkriegswohnzimmern wummernten, über nacht veralteten. Allabendlich drückten wir uns beim Hifi Brandenburger in Düsseldorf die Nasen platt und bestaunten atemlos die Metallwerke von Akai, Sony und Technics, von Tascam und Nakamichi, gegen die „Tonbandgeräte“ von Grundig und Telefunken, später von Uher, wie langweilige Haushaltsgeräte wirkten. In der neuen Welt nannte man sie Bandmaschinen und es gab plötzlich keine Radiogeräte mehr, sondern Receiver, Endstufen und Vorverstärker, von den Direktgetrieben gar nicht zu reden. Dann wurde alles immer doller und viele Entscheidungen standen an: Auto, Motorrad oder Hifi-Anlage. Als dann die CD ihren Siegeszug antrat, mußte alles auf digital getrimmt werden, bis mit dem einsetzen des Retrotrends die Röhre ihren angestammten Platz in den Tonhallen der Audiophilen wieder eingenommen hat. Bis heute.
Im Unterschied zu Dir habe ich eine andere Weiterentwicklung durchgemacht. Anfangs bis kurz vor der Seligwerdung selbstergriffen vom Anblick der Audiogeräte-Metallschlacht berauscht, pausenlos die Einstellungen anpassend, korrigierend, bis ich fast vergessen hatte, welche Musik gerade gespielt wurde, setzte vor einiger Zeit meine Hinwendung zum Audiopurismus ein. Unverändert das Beste an Equipment einsetzend, ist dieses aber bis auf ein Bedienfeld (iPad) und –zwangsläufig- die Lautsprecher, unsichtbar. Letztere zumindest solange, bis In-Wall Speaker eine andere Qualität erreicht haben, was nicht mehr allzulange dauern wird. Die Sat Serie von LD Systems der Adam Hall Group geht da schon einen ganz passablen Weg.
Die Musik ist das Entscheidende, das bewußte Hören, losgelöst von den gedanklichen Verirrungen in die Technik, völliges Eintauchen in den Klang, die Klänge, die Tongebilde. Den Audiorausch.
Und so findet man immer häufiger die Musik, die mehr ist als Geräuschmüll, Warenhausanimateur oder Fahrstuhlbegleiter. Zum Beispiel das 2012er Album Family Tree von Oregon. Musik, die Zeit abfordert und mit höchstem Genuß belohnt. Technik? Was Technik!
Lieber Alexander, ja, das war ein schöner Ausflug ins Hessische. Und Meister Reussenzehn ist ein Meister der alten Schule. Seine Produkte sind „ehrlich“ im Klang und bezahlbar obendrein. Und sind nicht die Schrulligsten die uns Adäquatesten? Eben. In diesem Sinne wünsche ich dir auch weiterhin ein gutes Ohr.