Ende Oktober auf dem Viktualienmarkt

Viktualienmarkt München Ölgemälde Alexander BroyEs ist neun Uhr zwei, also noch fast mitten in der Nacht, als ich am Nürnberger Hauptbahnhof in den ICE steige und ich komme bei absoluten Dreckwetter schon eine Stunde vor Weisswurst in München an. Ich habe bewusst einen Zug früher genommen – ja gut, ich konnte dadurch auch ganze acht Euro sparen – so blieb mir eine Stunde, um in aller Frühe durch meine geliebte Heimatstadt zu flanieren. Wie schon erwähnt Ende Oktober: Sauwetter! Jetzt lasse ich mir ja keinesfalls nachsagen, ich sei ein reiner Schönwetterflaneur. Ich mummle mich also fester in meinen Janker, ziehe den Hut tiefer ins Gesicht und schlendere über den Marienplatz, durchs Tal und hinten rum über die Westenrieder Strasse auf den Viktualienmarkt. Die meisten Geschäfte sind noch geschlossen, die Marktstandl natürlich nicht. Die Marktleute verstecken sich schon seit Stunden hinter ihren Plastikplanen und harren der Kundschaft. Und genau das hellt meine herbstliche Miene auf. Nie habe ich bei Tageslicht so wenig Menschen auf dem Viktualienmarkt gesehen. Positiv könnte man sonst von einem „bunten Treiben“ auf diesem Platz sprechen. Käufer, Touristen, Passanten, mit einem frisch gepressten Saft im Weg Steher, Biergartenbesucher alles tummelt sich hier, dass es zugeht wie auf dem Stachus.

Viktualienmarkt MünchenAber an diesem Tag ist es ruhig. Düster und geduckt eilen einzelne Menschen über den Markt. Das Kopfsteinpflaster ist nass, der Biergarten verwaist und die große Kastanie verliert langsam ihre Blätter, unverkennbar Herbst. Ich bleibe stehen und sauge diese Szene in mich ein. Ein warmes Licht dringt aus dem französischen Käsestand in die Kälte nach draussen. Die nassen Biertische spiegeln sowohl den grauen Himmel, als auch dieses gelbe Licht. Die rot-weiss-blaue Markise zwischen den feuchten, blassgrünen Marktständen bedeutet für mich Hoffnung auf Wärme. Analogien zur Trikolore der barbusigen Marianne (Eugène Delacroix, Die Freiheit führt das Volk) durchwabern mein Hirn. Ich denke an das tolle Wetter an der Côte Azur und die Freundschaft der Bayern zu Frankreich und ja, auch ein wenig an die Marianne, auch diese Gedanken können wärmen.

Im Zweifelsfall ist mir ein Andechser Romadur und ein Bier zwar lieber als ein französischer Käse zum Rotwein, aber dieses Bild verbindet eben alles. Ich sehe auf die Uhr, mir bleibt nicht mal mehr Zeit für eine Skizze. Ich geniesse also noch ein paar Minuten die Szene, knipse schnell ein paar Fotos mit dem Handy und dann geht es ins Weisse Bräuhaus, endlich ein warmes, trockenes Plätzchen, ein kühles Bier und vier Weißwürste im Kreise meine Freunde und Familie.

Wie sehr mir der Viktualienmarkt Heimat bedeutet, habe ich ja in einem anderen Artikel schon geschrieben und ganz oft schon wollte ich ihn malen, aber immer ist er mir zu hektisch, zu voll und zu touristisch. Wenn man ihn einmal alleine erwischen könnte, also wenn das Universum mal ganz kurz die Luft anhielte und nur die Maler und Flaneure sich noch bewegen dürften, dann wäre der „Bauch von München“ ein ganz furchtbar kitschiges Postkartenmotiv … also auch wieder nicht recht. Ach, sind Künstler komplizierte Wesen. Aber bei diesem Sauwetter liebe ich die Szene und ein paar Tage später entsteht an einem kalten, regnerischen Novembertag in meinem Atelier in Nürnberg das Bild: „Sauwetter auf dem Viktualienmarkt.“, Öl auf Leinwand 40cm x 40cm.

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