Ja, ich gebe es zu: ich liebe Wolle, also das Material, nicht dass mich jemand missversteht und mir einen Schaf-Fetisch andichtet. Ich liebe also Wolle, sei es Merino, Walk- oder Hammer-Loden, Cashmere und – in seiner höchsten Form– schottischer Tweed, es gibt für mich keinen schöneren Stoff. Die höchsten Berge der Welt wurden in Tweed- und Lodenanzügen bestiegen. Jahrtausende hielt die Wolle von Schafen, Ziegen und Lamas die Menschen warm und schützte sie vor Wind und Wetter. Vor allem aber sieht man toll aus darin. Sei es im Stil des englischen Gentleman mit Norfolk, Waistcoat und Breeks oder alpenländisch in einem festen Schladminger. Man(n) oder sagen wir lieber Herr ist immer gut angezogen, elegant oder sportlich, wie es Gelegenheit oder Tageszeit fordern.
Wer Tweed trägt spart Heizkosten, schont die Umwelt mit seinem nahezu ewig haltbaren und, wenn er dann doch einmal durchgescheuert, rückstandslos recyclebaren Tuch. Tweed wird noch in kleinen Manufakturbetrieben gewoben und verarbeitet und ist damit ethisch absolut einwandfrei. Green und blue, quasi. Ich könnte hier seitenlang weitermachen, das erspare ich Ihnen aber lieber.
Trotz all dieser unbestreitbaren Vorteile wurde Tweed durch so genannte Funktionskleidung aus Plastik ersetzt. Diese unter entsetzlichen Bedingungen für Umwelt und Mensch hergestellten Bedeckungsstoffe (das Wort Bekleidung will mir angesichts dieser Scheußlichkeiten nicht aus der Tastatur tropfen) werden von der Industrie mit Eigenschaften angepriesen, die für den Tweed- und Lodenträger selbstverständlich erscheinen: atmungsaktiv, wetterfest, wärmend und praktisch. Ich würde sie eher als kurzlebig, schwitzig, stinkig, nicht recyclebar, giftig und vor allem unelegant bezeichnen. Aber gut, jeder wie er meint.
Ein sehr ulkiger Aspekt bei den Jack Wolfskins und NorthFaces etc. dieser Welt ist, dass sie sich außen auf den Membranhäuten mit Logo verewigen. Meine Weber, Walker und Schneider tun dies eher dezent auf der Innenseite. Einer fragte mich sogar schon leicht verschämt, ob ich ihm das wohl überhaupt erlaube. Jeder zweite Passant hier bei uns in der Provinz läuft mit Sport- und Expeditions-Wear zum Einkaufen (sorry, Shopping) und in den Städten ist es auch nicht viel besser. Im Ausland erkennt man die deutschen Touristen schon von weitem an ihren Logo-Jacken wie die Holländer am Wohnwagen.
Was hier aber neu ist, und was ich für einen weiteren Schritt in Richtung Untergang des gepflegten Abendlandes halte, ist die Berufskleidung. Ist die Expeditions-Klamotte preislich noch in der Nähe des Tweedsakkos angesiedelt, so hat der „Brucker“ eine viel billigere Alternative gefunden. Er fährt jetzt mit dem Auto zum Kreuz A8/B471 zu einem Berufskleidungs-Outlet namens Engelbert Strauss und deckt sich dort mit Arbeitskleidung ein. Was für den Holzarbeiter und Monteur sicher eine praktische Schutzkleidung ist, wird in der geschmackbefreiten Provinz auch als wunderbar zweckmäßige Stadtkleidung empfunden. Überall wimmelt es jetzt von kleinen roten Pickerln mit Vogel Strauß. Endlich kann der Konsumsüchtige zwei Plastikjacken zum Preis von einer kaufen, und hat wieder mehr Geld für Benzin, Wuchermieten und Event-Freizeit.
Warum ich Ihnen das hier mitteile, fragen Sie sich? Ich weiß es eigentlich nicht, ich bin einfach nur erschüttert, traurig und entsetzt und das wollte ich mit Ihnen teilen, lieber Leser. Ich LIKE das NICHT!
Wer mehr über Tweed wissen möchte, dem empfehle ich diesen Artikel (engl.)