Die Sicht auf die Dinge ändert sich oft über die Generationen hinweg und damit verschiebt sich auch der Grad der Wertschätzung, die diesen Dingen entgegengebracht wird. Was für die einen noch der wertvolle Schrank war, den man sich für das Hochzeitsgeld vom Schreiner hat machen lassen, ist für die nächste Generation nur ein olles Möbelstück vom Vater, das man in den Keller verbannt. Wer weiß, vielleicht versuchen die nächsten Besitzer dem alten, abgestoßenen Möbel mit einem Anstrich, wenn schon nicht neue Schönheit, so doch zumindest Ansehnlichkeit zu verleihen. Gelingt das nicht so recht, ist auch nicht viel verloren, schließlich ist ein hässlicher Schrank immer noch eine gute Aufbewahrungsmöglichkeit für wenig getragene Kleidungsstücke. Der Sperrmüll ist dann bei sehr vielen dieser Möbel das Schicksal und die Endstation. Möglicherweise erbt dieses ungeliebte Stück aber auch eine weitere Generation und findet es wert, zumindest aufbewahrt zu werden. Und wenn dieser Schrank dann ganz viel Glück hat, wird er von einem wie mir gefunden und restauriert …
So ist es diesem speziellen Kleiderschrank gegangen, den wir im Keller des Hauses gefunden haben, ihn während der Renovierung untergestellt und dann wieder zurück ins neue Heim wuchteten. Ich vermute es muss um die Jahrhundertwende gewesen sein, als er in irgendeiner Schreinerwerkstatt das Licht der Welt erblickte. Vermutlich irgendwo hier in Franken. Er ist – typisch für diese Gegend – aus Kiefernholz. Dieses Holz kommt allerdings erst nach mühseligen Stunden des Abbeizens zum Vorschein. 2 große Dosen Speed-Ex im Gegenwert eines IKEA-Schranks habe ich aufgetragen und wieder abgespachtelt; dann geschliffen, geschliffen und ach ja, geschliffen. Die totgerubbelten Schleifscheiben übereinander gelegt, erhielte ich den schiefen Turm von Pisa. Vielleicht nicht ganz so hoch, aber bestimmt so schief.
Diese runden, gelochten Schleifscheiben, die man in jedem Baummarkt als Set an der Kasse liegen sieht, bezeichne ich gerne als die „Teelichter des Mannes“. So wie keine Frau an einer Packung dieser winzigen Kerzen vorbeigehen kann, ohne nicht mindestens eine mitzunehmen, so schmeißt ihr Mann – kein Stück rationaler oder disziplinierter als seine Gattin – immer auch ein Päckchen Schleifscheiben für den Schwingschleifer in den Einkaufswagen, bevor er den Baumarkt verlässt.
Zurück zu unserem Schrank, bei dem sogar die Beschläge von weißer Farbe überzogen waren. Wer immer das war, er hatte vermutlich keine rechte Freude am Jugendstil, denn mit fortschreitender Entfärbung, kamen wunderschöne Messingbeschläge mit verschlungen Ornamenten zum Vorschein.
Ganz ist die Farbe übrigens nicht weggegangen. Gerade in den Ritzen und Winkeln blieben manchmal weiße Stellen zurück, aber die gehören ja auch zur Geschichte des Schranks. Sie wurden von mir ganz bewusst gelassen und sind keines Falls durch Faulheit oder Schludrigkeit des Restaurators zurückgeblieben. Gegen diesen Verdacht wehre ich mich ganz entschieden. Sie sind Patina und erst die macht diesen Schrank zu etwas Besonderen. Ich wäre ja gespannt, was die fünfte Generation (mein Sohn) mit diesem Möbel anstellen wird, aber das werde ich vermutlich nicht erleben. Ich hoffe aber, er bleibt dieser Familie und diesem Haus noch lange erhalten.
Ob eine Restaurierung, die enorm viel Mühe macht, ungezählte Arbeitsstunden verschlingt und auch finanziell einiges an Arbeitsmaterial benötigt, vernünftig ist?
Ich weiß es nicht. Aber sie ist ein richtiger Schritt zu meinem großen Ziel: nicht mehr mit Möbeln leben zu müssen, die einen Namen haben.
3 Antworten
Hi Alexander,
Keine Zitierfunktion?
„Ich wäre ja gespannt, was die fünfte Generation (mein Sohn) mit diesem Möbel anstellen wird, aber das werde ich vermutlich nicht erleben.“
No problem. Ich organisiere den Transporter, wir wuchten den Schrank nach München / Umgebung und dann könnte es im Bereich des Denkbaren sein, dass Du es doch noch erlebst.
Nächste Woche? 😉
o.c.
Blogartikel haben eine Langzeitwirkung …. erst jetzt lese ich Deinen Schrankreport. Wenn ich Dir grundsätzlich nur in wenigen Dingen uneingeschränkt zustimme, so mache ich hier eine Ausnahme: bei mir gibt es schon seit gefühlten 100 Jahren keine benamsten Möbel mehr, nicht einmal im „Sanitärbereich“. Insofern begrüße ich Deine Einstellung.
Bodo F. aus M., der Hauptstadt
Kratzer und Macken, wenn ich richtig verstanden habe, sind zu schleifen. Was aber mit den Kaffeeflecken auf dem Schrank zu tun. Der hat noch nicht fünf Generationen überlebt, wie hier, gehört aber zu meinem Erbe von den Großeltern. Brauche den zur Erinnerung, die sehr warme Gefühle aus der Kindheit erweckt. Dankbar für die Erfahrung!