Ich war noch nie im Louvre. In Paris war ich schon recht häufig. Ich war dort zweimal als Schüler mit einem Freund. Ich habe dort schon gearbeitet, habe als Kameramann einen Film gedreht und war später dort wieder mit meiner Frau, in so etwas wie einer kurzen Hochzeitsreise. Ich war im Musée d’Orsay, im Centre Pompidou, bei Rodin usw. aber ich war nie im Louvre. Es ist nicht so, dass ich nicht schon oft vor dem Louvre gewesen wäre, ich war auch schon ein paar Minuten in der Warteschlange. Ich liebe Paris im April, in Springtime und auch im Winter, aber vor und bestimmt auch im Louvre geht’s zu wie am Stachus und das ertrage ich einfach nicht. Ich kann nicht. Die Vorstellung, dass ich die Menschenmassen ertragen muss, die sich lärmend, hastend, neuerdings auch Selfie-knipsend, vor den Bildern drängen, die ich schon mein Leben lang so gerne sehen wollte, macht mich traurig und wütend zu gleich.
Den Traum von einer Privatführung, oder noch besser ganz allein im Louvre zu sein, habe nicht nur ich. Ein Bruder in diesem Geiste ist der japnische Comicautor Jiro Taniguchi habe ich entdeckt, als ich vor ein paar Tagen in dem fantastischen Nürnberger Comicladen Ultra Comix stöberte. Das großformatige fest gebundene Buch lag, weil es nirgendwo ins Regal passte, auf einem Regal in der Manga-Abteilung herum und viel mir sofort ins Auge. Der Autor war mir von seiner „Gipfel der Götter“ Manga Graphic-Novel Serie über berühmte japanische Bergsteiger bekannt, welche natürlich nur einen ganz kleinen Teil seines beeindruckenden Gesamtwerkes ausmacht.
Diese Graphic-Novel ist anders, als man gemeinhin Manga-Heftchen kennt, die ja meist billig gebundene, schwarz-weisse Groschenheftchen für die tokyoter U-Bahn sind. (Oh je, jetzt ziehe ich mir bestimmt den Zorn von ein paar eingefleischten Manga-Fans zu.) Taniguchi hat dieses Buch komplett per Hand gezeichnet, mit Feder, Bleistift und Aquarellfarben. Nichts sieht nach Mangastudio oder Photoshop aus. Der Carlsen Verlag gönnte ihm schönes, festes, seidenmattes Papier und eine Hardcover Bindung. Aber nun zur eigentlichen Geschichte. Der Comiczeichner – Jiro Taniguchi selbst? – besucht den Louvre und ist von den Menschenmassen genau so abgeschreckt und angeekelt, wie ich es eben auch wäre. Der Geist der Nike von Samothrake erbarmt sich seiner und lädt ihn in ein Paralleluniversum zwischen Traum und Wirklichkeit ein. Er darf ganz allein den Louvre durchstreifen und als sei das noch nicht Gnade genug, trifft er auch noch seine Idole Corot und van Gogh. Es ist kein Zufall, das diese beiden ganz besondere Einflüsse auf die japanische Kunst hatten, beziehungsweise von dieser ganz besonders inspiriert waren. Er taucht in ihre Welt ein, spricht mit ihnen und diskutiert über das Leben und die Kunst. Antoine de Saint-Exupéry berichtet ihm von der bewegten Geschichte des Louvre und der Rettung der Kunstwerke während der Nazizeit, aber mehr möchte ich nicht verraten.
Dieser Band ist etwas besonderes. Er ist trotz seiner japanischen Leserichtung auch ein europäisches Buch, vielleicht ein wenig franko-belgisch und doch eben auch japanisch. Es ist so, als wenn van Gogh einen Hiroshige malte. Ach ja, das hat er ja auch.
Meine absolute Empfehlung für Comic-Fans, Kunstkenner und Bücher-Liebhaber, sie werden überrascht sein, das verspreche ich Ihnen. Hier der Link zur Verlagsseite. Viel Spass!