Die vier Jahreszeiten kennt man hierzulande nur noch durch den Italiener Antonio Vivaldi, der fälschlicherweise immer als Erfinder der Pizza Quattro Stagioni gepriesen wird, aber auch ein nicht ganz unbedeutendes Werk der klassischen Musik gleichen Namens komponiert hat. Allerdings das wahrhaft noch bedeutendere Musikstück über die vier Jahreszeiten vom Virtuosen Karl Valentin ist leider noch wenigeren bekannt. Überhaupt stelle ich fest, dass die Bedeutung der Jahreszeiten immer mehr in den Hintergrund tritt. Weil sich der moderne Mensch nur noch vollklimatisiert von Tiefgarage zu Tiefgarage bewegt, Häuser durch elektrisches Licht und Wärmedämmung von den vermeintlichen Widrigkeiten der Natur geschützt sind, Erdbeeren zu Weihnachten und Lebkuchen auch im Sommer erhältlich sind, bekommen wir den Wechsel nicht mehr mit. Außer dem Zigarettenraucher vor dem Wirtshaus und dem Landschaftsmaler ist ihnen niemand mehr wirklich ausgesetzt, dabei sind sie so wichtig für unser Wohlbefinden.
Empfinden Sie – lieber Leser – nicht auch manchmal eine gewisse Eintönigkeit und Langeweile im Jahresverlauf? Die Gleichförmigkeit des Lebens durch die ständige Verfügbarkeit von eigentlich allem? Sie führt unweigerlich zu einer Abnahme von Abwechslung und Vorfreude. Unser Organismus, hier seit Jahrtausenden an den Wechsel der Jahreszeiten angepasst, sucht sich irgendwann neue meist banale, duale Lebens-Rhythmen. So teilt sich manch einer sein Jahr in Arbeits- und Urlaubszeit, Trekkingsandalen- und Jack Wolfskin-Wetter, ultraknapper Minirock- und Totalvermummelzeit oder aber Winter- und Sommerreifenzeit. Aus den vier, wurden zwei Jahreszeiten, nur die clevere Modeindustrie hat es zumindest verstanden noch eine weitere sogenannte Übergangszeit für die Übergangsjacke (was für ein Wort!) zu erfinden.
Meine intensive Beschäftigung mit japanischer Kunst und Kultur lies mich über ein paar sehr interessante – vermutlich auch dort schon längst vergessene – jahreszeitliche Phänomene stolpern. An dieser Stelle empfehle ich dem interessierten Leser das Buch „Japan and the Culture of the Four Seasons: Nature, Literature, and the Arts“ von Haruo Shirane, 2012 erschienen bei Columbia University Press. Japan ist uns klimatisch ja sehr ähnlich und deshalb – finde ich – liessen sich einige Parallelen zu unserem Jahreszeitenwechsel ziehen.
In der traditionellen japanischen Kultur und Lebensart sind die Jahreszeiten ein ganz wichtiger Bestandteil. In der Poesie sind sie teilweise sogar ein Muss. Ein Haiku (sehr kurzes japanisches Gedicht) ist eigentlich keines, wenn nicht mindestens eine Jahreszeit (Kigo) erwähnt wird. Bei der Teezeremonie gibt es für jeden Jahreszeit eine eigene Art das Wasser zu erhitzen, die japanischen Dirndl (Kimonos) haben jeweils andere Farben und Motive. In der Malerei oder der Druckgrafik werden die Jahreszeiten durch Symbole wie Obstblüten, Regen, farbiges Laub und Schnee dargestellt. Es gibt kaum ein Werk in dem man die Jahreszeit nicht eindeutig ermitteln könnte.
Die Verwendung von Papierwänden und Strohdächer beim Hausbau hat bestimmt dazu beigetragen, dass die Jahreszeiten einen starken Einfluss auf die Menschen dort hatten. Eine Wärmeschutzverordnung, welche die japanischen Häuslebauer zu Styroporverkleidung und hermetische Fenster mit Zwangsbelüftung und -Verschattung zwingt ist mir nicht bekannt.
Energie sparen lässt sich dagegen – optisch auch ansprechender – auch durch eine der Jahreszeiten angepasste Kleidung. Leichter Tweed im Herbst, schwerer Tweed oder Loden im Winter, leichte Schurwolle im Frühling und den Sommer im Leinenanzug oder der kurzen Lederhose. Auch finde ich es erfrischend abwechslungsreich, wenn man die Lebkuchen ausschliesslich im Advent und den Spargel nur im Mai, dann die Kirschen u.s.w. isst. So gibt es immer irgendetwas auf das man sich freuen kann. (Außer vielleicht auf den winterlichen Frühstücks-Lebertran)
Für den Pfeifenraucher und Freund des japanischen Holzschnittes gibt es jetzt von Tsuge, einem japanischen Pfeifenbauer, ein ganz besonderes Schmankerl. Vier Tabake in wundervollen Dosen mit Ukiyo-e Drucken. Leider kann man diese Pfeifentabake nur in den U.S.A. bekommen, die europäischen Warnaufdrucke würden ja auch den Kunstgenuss deutlich schmälern. Wenn man allerdings gebeten wird 200 Euro Zoll für Tabak im Werte von 100 Dollar zu bezahlen, bekommt man eine neue Sicht auf das Freihandelsabkommen, aber das ist eine andere Geschichte und soll woanders erzählt werden …
Ich werde diese Tsuge Tabaksdosen jetzt Jahreszeit für Jahreszeit öffnen und mich darüber freuen, dass bald der Sommer kommt. Wie erleben Sie die Jahreszeiten? Ich freue mich über Anregungen und Kommentare.
2 Antworten
Servus Alexander,
da ist Dir ein wundervoller Bogen von den Jahreszeiten (!den! Jahreszeiten) zu den Tsuge Tabakdosen gelungen. Letztere finde ich nicht so sammel- und betrachtungswürdig, da sie nicht – wie es einmal üblich war – lackiert sind, sondern ein schnöder papierner Druck noch schnöder aufgeklebt ist. Als Holzschnitt-Schneiderlein kommt Dir das natürlich recht, aber da mir auch der Inhalt der Dosen nicht taugt, nehme ich Deinen Tagebucheintrag erst einmal nur zur Kenntnis.
Das Du aber die Andre Rieu geschädigten Vivaldi Jahreszeiten in eine Linie mit dem sehr geschätzen Karl V. setzt, paßt mir nicht. Diese Kompositionen, von Vivaldi ganz anders betitelt, zählen zu den schönsten, die der italienische Barock zu bieten hat, leider kann ein jeder Kaufhausbesucher ein paar Noten davon trällern, aber meistens auch nicht mehr. Von Carmignola, den Trondheim Soloists oder I Musici bleiben sie unbeleckt.
Wie du weist, halte ich mich viele Wochen im Jahr in einer Gegend auf, die keine Jahreszeiten kennt. Durchgehend 30 Grad C+, einzige Abwechslung ist viel oder gar kein Regen. Das ist wundervoll im November, dann wieder im Februar und allenfalls im März, wenn es bei uns das vielgeliebte Sauwetter hat und Farben nicht mehr in der Natur, sondern nur noch in den „Bunten Blättern“ zu finden sind, in denen die meisten „Käsegesichter“ ohnehin mit Photoshop auf knackig-braun getrimmt werden. So auf Sommer gebügelt macht es auch keinen Sinn, sie in edlen oder kräftigen Tweed zu zwängen, von einem Schladminger ganz zu schweigen. Heute abend sitze ich wieder im Flieger Richtung S., in den nächsten 3 Wochen 32-35 Grad vor mir. Jetzt, wo in München immer noch vieles blüht, alles frisch-grün ist und wir herrliche Temperaturen im täglichen Wechsel haben, so daß sich Herz, Seele und Körper im Tag-Nacht Rhythmus erholen können. Da will ich nicht weg, da will ich „meine Jahreszeiten“, nämlich Frühling, Sommer und Herbst erfahren. Den Winter brauche ich nur vom 23.12. bis zum 06. Januar und degradiere ihn von einer Jahreszeit zu einem Zustand. Somit: ohne Jahreszeiten, wie sie Vivaldi musikalisch beschreibt, geht es nicht. musikalisch wie im realen Leben.
Bodo Falkenried, München und S.
Lieber Bodo,
ich leide innerlich mit dir, wenn du den schönen Sommeranfang nicht hier an Isar, Amper oder Andechs erleben darfst. Dafür wirst du wieder im Garten des Raffles sitzen und kühle Drinks geniessen. Deiner musikalischen Anregung folgend, habe ich mir gleich einmal den Vivaldi mit Herrn Carmignola auf die Ohren gelegt, natürlich erst mal nur „Primavera“. Klingt tatsächlich anders als im Horten-Aufzug, obwohl ich ja eher ein Freund barocker Formen nicht Klängen bin … Auch der Tabak ist vermutlich mehr für die Augen als für den Geschmack, aber was ist schon perfekt, liebe Grüsse Alexander